Zug der Kraniche in Europa
In Europa brütende Kraniche nutzen je nach Lage des Brutgebietes unterschiedliche Zugwege auf ihrem Weg in die Winterquartiere.
In Skandinavien (Norwegen, Schweden, teilweise Finnland), Mitteleuropa (Deutschland, Polen, Tschechische Republik) sowie im Baltikum (Litauen, Lettland, westliches Estland) brütende Kraniche nutzen den westeuropäischen Zugweg, der nach Zwischenstopps in Deutschland zu Winterquartieren in Frankreich und Spanien führt. In den letzten Jahren ist dabei eine zunehmende Tendenz für eine Verkürzung der Zugwege und Nordverlagerung der Überwinterungsgebiete festzustellen.
Ein Großteil der finnischen Kraniche sowie die in Mittel- und viele der im Ostteil Estlands brütenden Kraniche nutzen dagegen den Baltisch-Ungarischen Zugweg. Dieser ist erstmal südwärts gerichtet und führt zu Zwischenrastgebieten im östlichen Ungarn und im nördlichen Serbien. Bei günstiger Witterung überwintert ein nennenswerter Teil der Kraniche bereits in dieser Region, während zahlreiche Vögel noch weiter über Italien nach Nordafrika ziehen. Viele Vögel überwintern in Tunesien, wenngleich sich das nordafrikanische Wintergebiet von Libyen bis Marokko erstreckt. Ein zunehmender Teil der in Ungarn zwischenrastenden Vögel zieht sogar über Norditalien nach Westen zu Wintergebieten in Südfrankreich und Spanien, wodurch sich beide Zugwege überlappen. Zugleich werden immer mehr farbmarkierte Kraniche aus Finnland und Estland in Deutschland festgestellt, sodass sich in Verbindung mit einem deutlichen Anstieg der Herbstrastbestände in Deutschland gegenwärtig eine großräumige Verlagerung von Vögeln der baltisch-ungarischen Zugpopulation andeutet.
Im Südosten Finnlands nahe der russischen Grenze, im Osten Estlands sowie im Westen Russlands brütende Kraniche nutzen dagegen den Osteuropäischen Zugweg, der über das Schwarze Meer und die Türkei weiter nach Israel führt. Während ein kleiner Teil bereits hier überwintert, ziehen die meisten Kraniche weiter zu Überwinterungsgebieten in Ostafrika (v.a. Äthiopien).
Im äußersten Osten Europas gibt es zudem noch den Wolga-iranischen Zugweg, wo die Vögel über das Kaspi-Gebiet zu Überwinterungsplätzen im Iran ziehen.
Zumindest für Vögel des westeuropäischen Zugweges lässt sich zugleich eine Abnahme der Zugneigung feststellen, je weiter westlich die Kraniche in Mitteleuropa brüten. So verbleibt bereits ein erheblicher Teil der in Nordwest-Deutschland brütenden Kraniche auch im Winter in der Nähe der Brutgebiete. Dieses Verhalten lässt sich in zunehmendem Maße auch bei Kranichen in Nordost-Deutschland beobachten, wo einzelne Paare entweder in der Nähe der Brutgebiete überwintern oder nur im Spätherbst kurzzeitig nach Westen ausweichen und bereits im Winter wieder in Brutplatznähe zurückkehren. In England brütende Kraniche haben überhaupt keine Zugneigung und überwintern im Umfeld der Brutgebiete.
Die Zugwege auf dem Wegzug zu den Überwinterungsgebieten im Herbst und auf dem Heimzug zu den Brutgebieten im Frühjahr unterscheiden sich nur unwesentlich, da oftmals dieselben Zwischenrastgebiete genutzt werden. Der Zug im Frühjahr verläuft allerdings schneller, damit die Kraniche rasch in ihre Brutreviere zurückkehren können.
Zugwege über Deutschland
Über Deutschland ziehen ausschließlich Vögel des westeuropäischen Zugweges. Dennoch haben sich je nach Brutherkunft und Wahl der Zwischenrastgebiete verschiedene Zugkorridore herausgebildet, die auf dem Weg von oder zu den Überwinterungsgebieten genutzt werden.
Vögel aus Schweden und Norwegen ziehen im Herbst meist über Südschweden nach Süden über die Ostsee zu Rastplätzen in der Rastregion Darß-Zingster Boddenkette und Rügen. Von hier aus ziehen dann die meisten Vögel Richtung Südwesten, um nochmals in Nordwest-Deutschland an Rastplätzen der Diepholzer Moorniederung einen Zwischenstopp einzulegen. Anschließend erfolgt der Zug im Normalfall nonstopp quer über das Ruhrgebiet, das westliche Rheinland-Pfalz und Luxemburg zu Rastplätzen in Nordost-Frankreich (v.a. zum Lac du Der). Brutvögel aus dem Westen und Norden Mecklenburg-Vorpommerns nutzen ebenfalls diese Zugstrasse.
In der Müritzregion sowie in Nordwest-Brandenburg rastende Kraniche ziehen oft auch in einem Korridor zwischen Hannover und Göttingen weiter über Nordhessen und das nördliche Rheinland-Pfalz und queren dann das Saarland und Luxemburg auf dem Weg zu den Rastplätzen in Nordost-Frankreich.
Vögel der Rastregion Rhin-Havelluch (u.a. mit dem Rastplatz Linum) und weiterer Rastplätze rund um Berlin ziehen nach Südwest ab und machen oft noch einmal einen kurzen Stopp im Bereich des Helmestausees Berga-Kelbra in der Nähe des Kyffhäuser-Gebirges, um von dort über Hessen, das östliche Rheinland-Pfalz und das Saarland nach Frankreich zu ziehen. Neben Vögeln der Brutpopulation in Brandenburg und aus dem Binnenland von Vorpommern sind in erheblichem Umfang auch Brutkraniche aus Polen, dem Baltikum und Finnland beteiligt.
In Südbrandenburg und Sachsen rastende Kraniche ziehen vermutlich über das in Thüringen gelegene Rückhaltebecken Straußfurt weiter in Richtung Hessen und Rheinland-Pfalz. Hier sind dann auch Vögel der kleinen tschechischen Brutpopulation beteiligt, die zuvor Zwischenrastgebiete in der sächsischen Oberlausitz und im äußersten Süden von Brandenburg aufsuchen.
Erst seit wenigen Jahren entwickelt sich zudem eine neue Zugstraße in Süddeutschland (Bayern, Baden-Württemberg), wo bereits mehrere hundert Kraniche im nördlichen Alpen-Vorland nach West in Richtung Frankreich ziehen.
Auf dem Rückzug von den Überwinterungsgebieten in Richtung der Brutgebiete werden oft ähnliche Zugstraßen genutzt.
Überflug im Herbst lässt sich vor allem in den Monaten Oktober und November, im Frühjahr im Februar und März über vielen Teilen Deutschlands beobachten. Meist erfolgt der Zug aber an wenigen Zugtagen mit optimalen Bedingungen für einen sogenannten Massenzug. Hochdruckwetterlagen und Rückenwind begünstigen solche Massenzugtage.